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In einem Interview wurde ich vor kurzem gefragt, ob ich mich auf meiner Suche nach der nächsten großen Anlagechance in „Grenzbereiche“ begeben würde. Tatsächlich fanden viele meiner jüngsten „Investmentabenteuer“ in Frontier-Märkten statt, den kleineren, weniger entwickelten Verwandten der Schwellenmärkte. Meines Erachtens bieten Frontier-Märkte langfristig ein enormes Potenzial. Das setzt jedoch zwingend voraus, dass die Anleger Geduld und ein gewisses Maß an Beharrlichkeit mitbringen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden China und Indien als Frontier-Märkte angesehen, und als ich meine Investmentlaufbahn begann, galt Japan als Schwellenmarkt. Das zeigt, dass der wirtschaftliche Fortschritt oft mit einer entsprechenden Marktentwicklung einhergeht.
Frontier-Märkte könnten als Untergruppe der Schwellenmärkte angesehen werden. Im Allgemeinen sind sie weniger liquide und weisen geringere Marktkapitalisierungen auf als die Märkte in Schwellen- oder Industrieländern. Die Einstufung eines Landes als Schwellenmarkt oder Frontier-Markt basiert in der Regel auf Kriterien wie der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Größe, Liquidität und Zugänglichkeit des Marktes. Die MSCI Frontier Markets Indizes1 liefern Anlegern eine praktische Benchmark und verwenden ihre eigenen Einstufungskriterien, an die wir uns jedoch nicht zwingend halten.
Wenn Frontier-Märkte ein steigendes Einkommensniveau verzeichnen und über zunehmend entwickelte und für internationale Anleger leicht zugängliche Aktienmärkte verfügen, können sie den Status von Schwellenmärkten erlangen.
Man könnte fälschlicherweise annehmen, bei Frontier-Märkten handle es sich stets um arme Länder. Tatsächlich umfasst dieses Segment jedoch ein breites Spektrum wirtschaftlicher Entwicklung und enthält sowohl Staaten, in denen das jährliche Durchschnittseinkommen nicht zum Kauf eines Gebrauchtwagens reicht, als auch einige der reichsten Länder der Welt. Frontier-Märkte finden sich rund um den Globus. Beispiele sind Panama und Argentinien in Lateinamerika, Bulgarien und Rumänien in Osteuropa, Saudi-Arabien und Katar im Nahen Osten oder Kambodscha und Vietnam in Asien, um nur einige zu nennen. Ganz besonders interessiert mich derzeit Afrika. Mit Ausnahme von Südafrika lassen sich alle Länder dieses Kontinents als Frontier-Märkte einstufen. Afrika ist eine äußerst wachstumsstarke Region: Von 2001 bis 2010 waren sechs der zehn Länder mit dem weltweit höchsten Wachstum in Afrika zu finden.2 Die Wachstumsaussichten dieser Länder geben somit Anlass zu Enthusiasmus.
Wie bei allen unseren Anlagen müssen wir aber unsere Hausaufgaben machen. Wir besuchen alle Länder und Unternehmen, in die wir investieren. Zudem prüfen wir die individuellen Fundamentaldaten jedes Landes und analysieren die bisherigen Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen sowie weitere Unterlagen jedes Unternehmens. Auf dieser Grundlage erarbeiten wir eine Fünfjahresplanung – ein intensiver Prozess. Wir suchen vor allem nach Unternehmen, die – getragen von einer jungen Bevölkerung und einer wachsenden Mittelschicht – solide langfristige Wachstumsaussichten erwarten lassen und sich durch eine gute Corporate Governance auszeichnen. Darüber hinaus bevorzugen wir eine Kultur der laufenden Dividendenzahlungen.
Anlagerisiken
So intensiv unser Prozess auch ist – er beseitigt selbstverständlich nicht alle Anlagerisiken. Im Gegensatz zu den entwickelten Märkten wurden die Risiken in Frontier-Märkten noch nicht umfassend untersucht. An diesem Punkt beginnt für mein Team und mich die eigentliche Arbeit. Politische Risiken werden in neuen Märkten oft als Grund zur Besorgnis angeführt. Wie ich auf den vorangehenden Seiten erläutert habe, können solche Risiken zu Volatilität führen, aber auch Chancen bieten. Bei Spannungen im Nahen Osten lässt sich beispielsweise beobachten, dass Anleger in Länder abwandern, die in dieser Region als sicherer Hafen gelten. Dazu zählen die Vereinigten Arabischen Emirate, die als Frontier-Markt eingestuft werden.
Die Korruption stellt in fast allen Ländern ein Problem dar. Besonders schwerwiegende Folgen kann sie jedoch in jenen Ländern haben, in denen sich die Macht und die Ressourcen in den Händen einiger Weniger konzentrieren und das Strafrecht nicht einheitlich angewendet wird. Aus meiner Sicht schlägt allerdings positiv zu Buche, dass über Korruption heute offen gesprochen wird – ein wichtiger erster Schritt zu einem gerechteren System.
Bei einem Besuch in Nigeria unterhielt ich mich kürzlich mit einem prominenten Regierungsbeamten. Statt zu versuchen, die korruptionsbelastete Vergangenheit des Landes unter den Tisch zu kehren, erläuterte mir mein Gesprächspartner offen, wie seine Regierung an der Lösung dieses Problems arbeitet. Nach meiner Einschätzung machen sich viele führende Politiker in Frontier-Märkten derzeit klar, dass sie die Korruption beseitigen müssen, um auf globaler Ebene erfolgreich zu sein. Daher arbeiten sie an der Umsetzung von Maßnahmen, die eine Überwachung ermöglichen und die Einhaltung der Rechtsvorschriften sicherstellen sollen. Auch ein anderer Punkt sollte berücksichtigt werden: Selbst wenn ein Land in negative Schlagzeilen gerät, können einzelne Unternehmen aus Anlegersicht sehr attraktiv erscheinen, da sie ihre Geschäftstätigkeit lokal – oder gar am Weltmarkt – ausbauen. Beispielsweise habe ich beobachtet, dass in Afrika Mobiltelefone weitverbreitet sind. Sie dienen dort nicht nur als grundlegendes Kommunikationsmittel, sondern werden auch für Dienstleistungen wie Geldüberweisungen benutzt, wenn Banken vor Ort keine Geschäftsstellen haben. Die Konsumenten gewinnen an Einfluss und machen sich neue Produkte und Services zu Eigen.
Ein weiteres Risiko, das in Bezug auf Frontier-Märkte häufig genannt wird, ist die Liquidität, die sich als zweischneidiges Schwert erweisen kann. Bei einem niedrigen Investitionsniveau in einem unterentwickelten Markt kann es schwierig sein, eine Aktie unverzüglich zu einem fairen Kurs zu kaufen oder zu verkaufen. Die fehlende Liquidität kann aber auch einen Vorteil darstellen, da wir attraktiv erscheinende Aktien, die bei den restlichen Marktteilnehmern auf kein Interesse stoßen, zu sehr günstigen Preisen erwerben können. Bis eine Position in einer bestimmten Aktie aufgebaut ist, kann es lange dauern – mitunter viele Monate. Doch wenn die Marktteilnehmer schließlich den Wert eines Unternehmens anerkennen, ist der Besitz eines entsprechenden Aktienpakets natürlich wünschenswert.
Manchmal stufen wir die möglichen Risiken aber auch als zu groß, um ein Engagement einzugehen. Zu unseren größten Sorgen zählen Kapitalverkehrskontrollen und Enteignungen. Es muss für uns möglich sein, unser Geld bei Bedarf außer Landes zu schaffen. In den meisten Ländern, in denen wir investieren, war dies bisher kein großes Problem. Dennoch sind wir uns dieser Gefahr stets bewusst.
Wachstum und Diversifikation
Das triftigste Argument für eine Anlage in Frontier-Märkten ist aus meiner Sicht das langfristige Wachstumspotenzial dieser Länder. Ein Vergleich der Wachstumsraten vieler Industrieländer mit denjenigen der Frontier-Märkte fördert erhebliche Unterschiede zutage. Beispielsweise lag das US-amerikanische BIP-Wachstum 2011 unter 2%, während Nigeria, ein Land, das ich gerade erwähnt habe, ein Wachstum von 6,9% verzeichnete.3 Das Wachstum einer Volkswirtschaft dürfte zu wachsenden Unternehmensgewinnen führen.
Anlegern bieten Frontier-Märkte zudem ein Diversifikationspotenzial, da wir festgestellt haben, dass die Performance dieser Märkte oft kaum mit der Performance der Industrieländer korreliert.
Häufig wird irrtümlich angenommen, dass die Zukunft aller Frontier-Märkte in hohem Maß von den Rohstoffpreisen abhängt. Viele dieser Länder verfügen zwar über reiche Rohstoffvorkommen und weisen solide Exportniveaus auf, doch das Wachstum anderer Frontier-Märkte wird vornehmlich vom Binnenkonsum getragen. Beispielsweise ist die Wirtschaft Kenias eher auf die Landwirtschaft und den Binnenmarkt ausgerichtet, während Nigeria stärker von den Ölexporten abhängt.
Wachstumsquellen können sich auch positiv weiterentwickeln. Um seine Volkswirtschaft zu diversifizieren, versucht Nigeria, sein Erdöl zunehmend selbst zu raffinieren mit dem Ziel, Produkte mit höherer Wertschöpfung zu exportieren. Gleichzeitig entwickelt das Land einheimische Industriezweige, um seine wachsende Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Wohnungen zu versorgen.
Trotz des starken Wachstums und des hohen Diversifikationspotenzials von Frontier-Märkten müssen Anleger unbedingt mit einigen unvermeidlichen Wachstumsschmerzen und unerwarteten Schwierigkeiten rechnen. Dank wachsender Einkommen, eines höheren Lebensstandards und Verbesserungen von Infrastruktur und Handel bieten sich geduldigen Anlegern möglicherweise aber attraktive Chancen in Bereichen wie dem Baugewerbe, dem Transportwesen, dem Bankwesen, der Finanzwirtschaft und der Telekommunikation.
An diesen Märkten bleibt noch viel zu tun. Es ist jedoch spannend, die Innovation und das Wachstum an den Grenzen des Anlageuniversums aus erster Hand miterleben zu können.
2. Quelle: IWF, 2012
3. Quelle: CIA – World FactBook, Juni 2012.