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Mein letzter Indienbesuch fiel mit dem Navratri-Fest zusammen, dessen Höhepunkt der Dussehra-Tag bildet, der für den Sieg des Guten über das Böse steht, verkörpert von Fürst Rama, der den Dämonenkönig Ravana tötet. Die Festtage beginnen mit Navratri und dauern bis Diwali, mehrere Wochen später.
In Delhi durfte ich mit meinem Team an einer der vielen Dussehra-Feiern teilnehmen, die im ganzen Land stattfanden – ein Ereignis, dem manche der höchsten Amtsträger Indiens beiwohnen. Bei unserer Ankunft wirkte die Lage leicht chaotisch. Die Menschen drängten in Massen auf das Gelände, doch gleichzeitig herrschte Volksfestatmosphäre. Händler boten einheimische Spezialitäten wie „Rolleneis“ feil, das hergestellt wird, indem eine Speiseeismasse auf eine handbetriebene, mit Eis und Salz gefüllte Rolle tropft, oder Roomali-Roti-Brot (Taschentuchbrot), für das eine Kugel Teig ausgerollt und in die Luft geworfen wird, bis sie ein hauchdünner Fladen ist, der dann auf einer heißen Platte gebacken wird.
Am Festplatz standen drei zehn Meter hohe Nachbildungen von Ravana und zwei seiner Familienmitglieder aus Papier und Holz mit blinkenden roten Augen. Im entscheidenden Moment wurden allen Würdenträgern reich verzierte Bögen und Pfeile gereicht, mit denen sie auf die Standbilder schossen, was Rama symbolisieren sollte, wie der die drei Dämonenkönige tötet. Es folgte ein Feuerwerk, und die Bildnisse gingen spektakulär in Flammen auf. Diese Zeremonie spielte sich so überall in Delhi und anderen indischen Städten ab. Das Merkwürdigste daran war, dass es zwar am Eingang zum Festplatz Sicherheitspersonal gab, doch auf dem Gelände und in der Nähe des offiziellen Podiums kaum Sicherheitsvorkehrungen.
Die Fahrten zu den Feierlichkeiten und anderen Terminen in Indien und zurück führten uns klar die immer kritischere Verkehrssituation dort vor Augen. Mein Team und ich besuchten auf dieser Reise Delhi, Mumbai, Pune, Bengaluru (vormals Bangalore) und entlegenere Winkel des Landes. Die Abwanderung von Bauern aus ländlichen Gegenden in die Großstädte führt im Zusammenspiel mit den explodierenden Auto- und Motorradzulassungen zu Infrastrukturengpässen, die sich kaum schnell beheben lassen dürften.
Kraftfahrzeuge in Indien

Indien entwickelt sich offenbar zu einem wichtigen Markt für Kraftfahrzeuge. Der jährliche Auto- und Lkw-Absatz liegt derzeit in Indien bei rund einem Drittel der in den USA produzierten 15 Millionen Stück und wächst dynamisch.[1] 2008/2009 waren in Indien insgesamt über 100 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen, von denen rund vier Fünftel auf Verbraucher entfielen (Pkw, Motorräder und Roller). Angesichts seiner Bevölkerungszahl von 1,22 Milliarden müsste es in Indien bei gleicher Anzahl von Fahrzeugen pro Kopf wie in den USA (mit insgesamt rund 246 Millionen[2]) etwa 970 Millionen Fahrzeuge geben! Das Potenzial der Branche ist meines Erachtens unschwer erkennbar.
Verbreiteter als Autos und Lastwagen sind in Indien allerdings die Zweiräder (Motorräder und Motorroller) mit einem Jahresabsatz von rund 14 Millionen[3], neben den etwa eine halbe Million berühmten „Tuk-Tuk”-Dreirädern, die als offene Taxis die Straßen Indiens, Thailands und anderer Teile des Schwellenländeruniversums bevölkern. Die für den anschwellenden Verkehr erforderliche Infrastruktur platzt bereits aus allen Nähten. Es gibt zwar rund 5 Millionen Kilometer Straße in Indien, doch davon sind nur ein Bruchteil Nationalstraßen, staatliche Autobahnen oder städtische Verkehrswege, die als qualitativ einigermaßen hochwertig zu erachten wären.[4]
Einen tieferen Einblick in die Branche verschafften wir uns bei dem Besuch eines großen indischen Autoherstellers, der Fahrzeuge für den Privatgebrauch und für die gewerbliche Nutzung produziert. Von einem seiner gefragten kostengünstigen Modelle laufen im Monat rund 9.000 Stück vom Band. Überrascht hat mich die Auskunft eines Managers, dass das Unternehmen einen großen Teil seines Umsatzes inzwischen mit unlängst erworbenen ausländischen Marken erzielt. Das belegt den Trend, den wir seit ein paar Jahren beobachten: Dass nämlich viele Schwellenländerunternehmen Marken aus Industrieländern einkaufen oder Joint Ventures betreiben.
Mein Team und ich besuchten noch einen weiteren Fahrzeughersteller, der auf „Zweiräder“ spezialisiert ist, um uns genauer über den indischen Markt für Motorroller und Motorräder zu informieren. Der Jahresumsatz legte nicht nur auf dem heimischen Markt kräftig zu, sondern auch auf benachbarten Märkten und in Afrika. Der Anbieter produziert auch „Dreiräder”, die in ganz Asien als Taxis genutzt werden. Im Gespräch mit einem der Söhne des Firmengründers am Hauptsitz und im Forschungs- und Entwicklungszentrum erfuhren wir, dass sich das Unternehmen stark auf diese energieeffizienteren und raumsparenden Transportmittel orientiert.
In der Vergangenheit war es schwierig für Indien, auf dem Kraftfahrzeugmarkt im Wettbewerb gegen Japan zu bestehen, doch speziell dieses Unternehmen hat offenbar Erfolg. Das Management sieht zwei Gründe, aus denen sich Menschen für ein Motorrad anstelle eines Autos oder eines anderen Transportmittels entscheiden: für den Arbeitsweg und zum Sport. Es besteht ein Trend hin zu größeren und schnelleren Motorrädern, die nicht nur die Grundbedürfnisse von Pendlern erfüllen, sondern auch den Spaß eines starken, schnellen Sportfahrzeugs bieten. Deshalb wurden Produkte mit größeren Motoren und eine Premium-Marke auf den Markt gebracht.
Nach diesen Besuchen steht für mich fest, dass Indien auf eine interessante Zukunft zurollt, die viel Anlagepotenzial in Infrastrukturentwicklung und Verkehr bietet.
[1] Quelle: „The Auto Industry Shows Good Growth in 2010“, Society of Indian Automobile Manufacturers Press Release (New Delhi: 11. Januar 2011)
[2] Quellen: United States Census Bureau, 2009; U.S. Federal Highway Administration, Highway Statistics, annual.
[3] Quelle: „Indian Two-Wheeler Industry”, ICRA, Mai 2012. “
[4] Quelle: Ministry of Road Transport and Highways, Government of India.