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Der chinesische Markt hat 2012 eine Achterbahnfahrt hingelegt. Anleger, die Unberechenbarkeit schlecht verkraften, hatten damit vermutlich Probleme. Nach vielen Kriterien hat sich der Markt für chinesische A-Aktien im letzten Jahr tatsächlich enttäuschend entwickelt. Doch auf einem Markt dieser Größe ist nie alles schwarz oder weiß. Anders als das breite Marktpublikum beurteile ich die Aussichten Chinas nach wie vor zuversichtlich und halte dort weiter nach langfristigen Anlagechancen Ausschau. Der verstorbene Sir John Templeton hat bekanntlich gesagt: „Die Zeiten des größten Pessimismus sind die besten Zeiten, um zu kaufen, und die Zeiten des äußersten Optimismus sind die besten Zeiten, um zu verkaufen.“
So wirkt der lokale chinesische Aktienmarkt aus der wertorientierten Perspektive meines Teams mit einem Mitte Januar 2013 verzeichneten durchschnittlichen KGV von 12 für Schanghai-A-Aktien derzeit verhältnismäßig billig[1].
Die Aktienbewertungen liegen aktuell insgesamt nicht weit über ihren Tiefs von 2008. Dabei könnten die Abwärtskorrekturen bei den Gewinnen unserer Ansicht nach ihren Höhepunkt überschritten haben.
Privatanleger bestimmen die Marktrichtung
In den letzten zehn Jahren tendierte der lokale chinesische Aktienmarkt zunächst dynamisch aufwärts. Der Shanghai Composite Index (für an der Shanghai Stock Exchange notierte A- und B-Aktien) kletterte von rund 1.000 im Jahr 2005 auf über 6.000 im Oktober 2007. Dann brach er ein und riss viele heimische Anleger mit in den Abgrund. Der Markt konnte den verlorenen Boden im Anschluss zum Teil wieder gutmachen, doch im Dezember 2012 sackte er auf ein Vierjahrestief ab. Mitte Januar stand der Index knapp über 2.300. Die Märkte für A-Aktien in Schanghai und Shenzhen entfallen zu rund 80% auf Privatanleger (Einzelanleger). Aus diesem Grund ist deren Stimmung die treibende Kraft für Marktschwankungen. (Weitere Informationen zu den verschiedenen Aktienmärkten in China entnehmen Sie bitte meinem früheren Beitrag „Das Aktien-ABC der chinesischen Börsen.”)
Die Macht der Politik
Die Stimmung bezüglich der heimischen chinesischen Märkte hat sich in letzter Zeit offenbar etwas gehoben. Guo Shuqing, Chef der chinesischen Wertpapieraufsichtsbehörde (China Securities Regulatory Commission), leistete dem Markt Anfang 2013 allem Anschein nach Vorschub mit dem Vorschlag einer potenziellen Ausweitung ausländischer Beteiligung an Chinas lokalen Aktienmärkten. Diese unterliegen strikten Kapitalkontrollen, weshalb sie für ausländische Investoren weitgehend unzugänglich sind. Offenere, transparentere und einheitlichere Bedingungen wären eine willkommene Entwicklung.
In der Vergangenheit waren es überwiegend politische Maßnahmen, die einen sprunghaften Anstieg chinesischer Aktien auslösten. Über 90% der Bevölkerung lesen dieselben Nachrichten, sodass wichtige politische Meldungen und Reformprogramme heftige emotionale Marktreaktionen hervorrufen können. Meines Erachtens dürften mehr chinesische Anleger auf den Markt drängen, wenn sie auf lokaler Ebene die Umsetzung politischer Reformen wahrnehmen. Ausländische Investoren auf den Märkten für B-Aktien, in Hongkong gehandelte H-Aktien und „Red Chips“ waren offensichtlich zugänglicher, denn es fließt viel Kapital in auf Schwellenländer spezialisierte Aktienprodukte. Die globalen Zuflüsse in Schwellenländerfonds überstiegen 2012 50 Mrd. US-Dollar.[2] Daher haben im Ausland notierte chinesische Aktien im letzten Jahr den Lokalmarkt (für A-Aktien) allgemein überrundet. Die Wertentwicklung der Vergangenheit sagt aber natürlich nichts über künftige Ergebnisse aus.
Aufwärtsmobilität
Wir rechnen damit, dass mit steigendem verfügbarem Einkommen der chinesischen Mittelschicht mehr Privatvermögen in Spareinlagen und Kapitalanlagen fließen könnte. Viele chinesische Konsumenten profitieren von jährlichen Lohnsteigerungen um 20% oder mehr. Außerdem schreitet die Urbanisierung rasch voran. Die Regierung steckt mehr Ressourcen in Infrastruktur und sozialen Wohnungsbau, aber auch in den Ausbau von Sozialleistungen, Bildung und medizinischer Versorgung von Zuwanderern in die Städte.
Herausforderungen für die neue chinesische Führung
Wie es scheint, schlägt eine neue kommunistische Führungsgeneration in China einen Kurs auf anhaltendes Potenzial für Wachstum und drastische Reformen ein. Xi Jinping und Li Keqiang werden im März 2013 offiziell die Ämter des chinesischen Präsidenten beziehungsweise Premierministers übernehmen. Ihnen steht eine Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen bevor, darunter auch heftige politische Rivalitäten. Xi und die neue Führungsmannschaft werden sich mit dem anhaltenden Einfluss älterer Parteimitglieder auseinandersetzen müssen. Frühere und jetzige Mitglieder des ständigen Ausschusses werden bei wichtigen Entscheidungen vermutlich ein Mitspracherecht einfordern.
Xi vertritt eine Generation von Erben der Revolution, die jetzt beweisen muss, dass sie über die Integrität verfügt, das Land ohne Korruption und Missbrauch zu regieren und China in den Bereichen Wirtschaft und Politik stärker zu öffnen. Eine kürzlich gestartete Kampagne zur Korruptionsbekämpfung läuft auf vollen Touren. Wie es aussieht, müssen in manchen Regionen Staatsvertreter wohl in den nächsten ein, zwei Jahren ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Xi hat seinen Standpunkt deutlich gemacht. Auf dem Parteikongress im November sagte er klipp und klar: „Wir haben allen Grund, stolz zu sein – stolz, aber nicht selbstgefällig… In der Partei gibt es viele Probleme, die bewältigt werden müssen, vor allem Probleme mit Parteimitgliedern und Beamten, die korrupt und bestechlich oder wenig bürgernah sind und Formalitäten und Bürokratie zu viel Bedeutung bemessen, und andere.”
Xi plant offenbar ein kraftvolles Reformprogramm mit konkreten Zeitvorgaben und Zielen anstelle des von Deng Xiaoping vor Jahrzehnten befürworteten Stückwerk-Ansatzes, mit dem „nach den Steinen tastend der Fluss überquert“ werden sollte.
Die neue Führung strebt auch effizientere Entscheidungsprozesse an. Die Umsetzung von Chinas 12. Fünfjahresplan (der 2011 vorgestellt wurde), sollte auch die Wirtschaft motivieren, denn er fordert ein ausgewogeneres Wirtschaftswachstum in China, das verstärkt auf Binnenkonsum und Reform des Finanz- und Sozialsystems setzt. Die neue Führungsriege sollte überdies viel zinspolitischen Spielraum zur Ankurbelung der Wirtschaft haben. Von 2010 bis 2011 wurden die Zinsen in China fünfmal erhöht und liegen derzeit bei 6%. Das bedeutet, dass die Regierung viel Luft für Zinssenkungen hat, wenn sie die Konjunktur beleben möchte, denn in vielen maßgeblichen Ländern weltweit sind die Zinsen deutlich niedriger.
Viele Anleger sehen nur die Nachteile von Volatilität, doch sie hat auch eine gute Seite: Sie eröffnet Chancen. 2013 dürfte China vor verschiedene Herausforderungen stellen und auch Volatilität bringen. Aus heutiger Sicht halten mein Team und ich den Ausblick für Chinas Aktienmarkt unter der neuen Führung aber für vielversprechend und wollen an der Entwicklung teilhaben.