Investmentabenteuer in den Emerging Markets

Die Ukraine am Scheideweg

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Im Februar trafen Athleten aus aller Welt zu den olympischen Winterspielen in Russland zusammen. In Russlands Nachbarland, der Ukraine, entwickelten sich die Dinge dagegen auseinander. Gewaltsame Zusammenstöße zwischen EU-freundlichen Demonstranten und staatlichen Kräften zogen in den letzten Monaten die Augen der Welt auf die ehemalige Sowjetrepublik, nachdem sich ihr (mittlerweile amtsenthobener) Präsident Janukowitsch geweigert hatte, ein Assoziierungsabkommen zur engeren Bindung an die EU zu unterzeichnen, und stattdessen Finanzmittel aus Russland annehmen wollte. Diese Vorfälle sind äußerst tragisch, und wir nehmen Anteil am Schicksal der Ukrainer in so ungewissen Zeiten. Wir verfolgen die Entwicklungen aufmerksam, auch die jüngsten Spannungen auf der Halbinsel Krim. Wie das alles ausgeht, kann niemand sagen, doch als Investor glaube ich, dass die strategische Bedeutung der Ukraine für Russland und die EU ihr Überleben, ihre Zahlungsfähigkeit – und ihren potenziellen langfristigen Erfolg sichern könnte.

Die Ukraine steht heute eindeutig am Scheideweg, und der dortige Markt ist volatil. Wir rechnen noch länger mit fortgesetztem Störfeuer und politischen Spannungen. Die zentrale Staatsmacht in der Ukraine ist in der Auflösung begriffen. Gleichzeitig haben aufgrund der unsicheren Lage in der Hauptstadt Kiew lokale Gouverneure in vielen Regionen ihr Amt niedergelegt oder die Verwaltungsarbeit eingestellt. Das ukrainische Parlament (Rada) hat in aller Eile neue Gesetzesreformen vorgeschlagen, unter anderem zur Begrenzung der Befugnisse des Präsidenten. Sprecher Alexander Turtschinow wird bis zu den Ende Mai anberaumten Wahlen als Übergangspräsident amtieren.

Während die Opposition die Macht übernommen hat, befindet sich das Land im Zwiespalt zwischen Ost und West – zwischen einer Annäherung an die EU oder an Russland. Die geteilte Meinung der Ukrainer kommt in politischen Äußerungen zum Ausdruck. Zu meinem Bedauern für die Bevölkerung sehe ich keine schnelle Lösung. Die politische Spaltung der Ukraine manifestiert sich im geografischen Wählerprofil. In den nach Westen, nach Europa, orientierten Landesteilen lagen die Regionen, in denen die Proteste am heftigsten ausfielen. An der russischen Grenze im Osten leben mehr russischsprachige Ukrainer, und die Unterstützung für die eher prorussische Politik des ehemaligen Präsidenten Janukowitsch ist größer.

Mein Team und ich sind als langfristige Investoren nach wie vor an ukrainischen Aktien interessiert. Wir erkennen dort Chancen auf Unternehmensebene. Abgesehen von den Schlagzeilen bietet die Ukraine Russland wohlgemerkt Zugang zu dessen einzigem Marinestützpunkt am Schwarzen Meer, sie hat Zugriff auf die Gaspipeline nach Europa und gilt als Kornkammer Europas. Geopolitisch gehört die Ukraine zu den wichtigsten Ländern Eurasiens. Sollte das Land nicht auseinanderbrechen, ist meines Erachtens diplomatisches Geschick gefragt, um freundschaftliche Beziehungen zu Russland zu unterhalten und gleichzeitig eine Öffnung nach Westen zu betreiben. Wie das geht, demonstriert ein weiterer ehemaliger Sowjetstaat und Nachbar Russlands, Georgien. Dort übt Russland nach wie vor Einfluss aus, doch Georgien geht seinen eigenen Weg, wie ich in einem Beitrag vom Dezember ausgeführt habe.

Eine globale Eskalation des aktuellen Konflikts in der Ukraine ist zwar möglich, doch wir halten sie für unwahrscheinlich, da eine vereinte und stabile Ukraine im Interesse aller Parteien liegt. Es gibt vier Quellen, aus denen Finanzhilfe für die Ukraine kommen könnte: die EU, die USA, Russland und der Internationale Währungsfonds (IWF). Im Zuge des eskalierenden Konflikts hat Russland sein Finanzhilfepaket, das die Zahlungsfähigkeit der Ukraine sicherte, auf Eis gelegt. Die EU könnte gewisse Unterstützung leisten, doch kaum auch nur annähernd in der nötigen Höhe. Außerdem könnten europäische Hilfen aus verfahrenstechnischen Gründen mit erheblicher Verzögerung eingehen. Auch die USA könnten Unterstützung anbieten, allerdings vermutlich nicht die gesamten mehr als 15 Milliarden US-Dollar, die die Ukrainer brauchen. Mir erscheint der IWF die einzige realistische Option. Wir können nicht ausschließen, dass der IWF seine Konditionen für die Freigabe einer neuen Hilfstranche nunmehr lockert, vor allem, wenn die EU und die USA darauf drängen (wie wir vermuten). Diese Option könnte auch Russland recht sein. Die Ukraine muss in diesem Jahr Schulden in Höhe von rund 8 Mrd. US-Dollar tilgen, und die nächste größere Zahlung steht für Juni an. Die Entscheidung der Rada für Präsidentschaftswahlen am 25. Mai erfolgte womöglich im Hinblick auf diese Frist.

Die Situation in der Ukraine bleibt unklar. Doch ein militärischer Konflikt scheint weder von Russland auf der einen noch von den USA und der EU auf der anderen Seite gewollt. Wie wir es sehen, will Russland keinesfalls eine instabile Regierung in der Ukraine, und die EU in Anbetracht der riesigen Mengen Gas, die aus Russland über die Ukraine nach Europa gepumpt werden, ganz bestimmt auch nicht. Aus diesen Gründen ist es keine Überraschung, dass Russland vor einer bewaffneten Auseinandersetzung zurückschreckt, indem es russische Truppen von der ostukrainischen Grenze wieder zur Basis zurückbeorderte. Präsident Putin hielt sich außerdem offen, den Sieger der Präsidentenwahl vom Mai anzuerkennen und sich an einem multilateralen Programm für das Land zu beteiligen. Faktoren, die mäßigend auf Russlands Verhalten in der Ukraine einwirkten, waren der starke Einbruch des Rubels und des russischen Aktienmarkts seit der Eskalation des Konflikts. Das zeigt ganz klar, dass Russland internationalem Druck unterliegt. Russland braucht Kapital aus dem Ausland, und die Situation in der Ukraine dürfte sich auf die Kapitalströme auswirken. Daher wird Russland unserer Erwartung nach maßvoll reagieren müssen. Der entscheidende Aspekt ist, dass Russland nunmehr de facto die Kontrolle über die Krim ausübt und nach eigenen Angaben auf Aufforderung der russischsprachigen Landesbevölkerung im Osten der Ukraine militärisch intervenieren will.

Unter dem Strich sollte die Ukraine unseres Erachtens aufgrund des regen Interesses aus Russland und dem Westen von einer der beiden oder beiden Seiten ausreichende finanzielle Unterstützung erhalten, sofern die neue Führung klug und diplomatisch vorgeht.

Wir verfolgen die Entwicklungen in der Ukraine genau und hoffen auf eine friedliche Lösung. Und hoffentlich erleben wir in wenigen Jahren noch eine ganz andere Ukraine-Story – eine viel positivere.

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