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Diesen Monat findet das gemeinsame jährliche Treffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Lima, Peru, statt. Es ist das erste Mal seit fast 50 Jahren, dass solch eine Veranstaltung in Lateinamerika stattfindet. Das jährliche Treffen der Organisationen bietet Finanzministern und Vorsitzenden von Notenbanken aus der ganzen Welt ein Forum für Gespräche über Wirtschafts- und Finanzfragen und die geldpolitischen Ansätze zur Förderung des Wirtschaftswachstums und der Reduzierung der Armut. Die Tagesordnung enthält eine ganze Reihe von Problemen, die sich der Region derzeit stellen – darunter Infrastruktur, nachhaltige Entwicklung, die Auswirkungen der Rohstoffpreise, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten und Arbeitslosigkeit.
Peru: Ein Modell für Fortschritt
Die Wahl Perus für das diesjährige Treffen ist bemerkenswert, denn das Land hat sich verändert und befindet sich im Wandel. Anlässlich der Veranstaltung veröffentlichte der IWF ein Buch, das einen Überblick über die Herausforderungen, vor denen Peru während der vergangenen 30 Jahre stand, die Politik des Landes und die Erfolge bietet. Der Titel lautet: Peru: Staying the Course of Economic Success. In ihrem Vorwort erklärt Christine Lagarde, die geschäftsführende Direktorin des IWF: „Wenn ich an Peru und die Leistungen des Landes denke, erinnert mich das an die Worte Sophokles: ,Erfolg ist die Belohnung für schwere Arbeit‘. Der Verlauf des wirtschaftlichen Wandels in Peru während der vergangenen drei Jahrzehnte zeigt deutlich, wie zutreffend diese so oft herangezogenen Worte sind.“ Dem möchte ich zustimmen.
Die langfristigen wirtschaftlichen Erfolge Perus gelten als Modell für andere Länder in der Region. In den letzten Monaten haben jedoch die Besorgnis über bevorstehende Zinserhöhungen in den USA, einen potenziellen Konjunkturrückgang in China (ein wichtiger Markt für viele lateinamerikanische Exporte) und die Währungsschwäche gegenüber dem stärker werdenden US-Dollar lateinamerikanische Märkte belastet. Peru war ganz gewiss ebenfalls von diesen Faktoren betroffen. Das Land scheint diesen Herausforderungen aber besser zu begegnen als einige andere Länder. Prognosen zufolge soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Perus in diesem Jahr 3,0% bis 3,9% wachsen. Dem steht weniger als 1% für Lateinamerika als Ganzes gegenüber.[1] Die Landeswährung, der Nuevo Sol, hat in diesem Jahr dem US-Dollar gegenüber etwas mehr als 7% verloren, weniger als die meisten anderen lateinamerikanischen Währungen – der brasilianische Real ist 34% gefallen, der kolumbianische Peso 22%.[2]
Peru konnte von seinem großen Mineralienreichtum profitieren. Das Land ist der zweitgrößte Silberproduzent der Welt, der drittgrößte Lieferant von Kupfer und ein wichtiger Gold- und Zinkproduzent.[3] Gesunde Preise für diese und andere wichtige Exportgüter haben dazu beigetragen, dass das BIP-Wachstum in den Jahren 2009 bis 2013 bei 5,6% lag, was es der Regierung erlaubte, bei der Verbesserung der Armutsquote des Landes große Fortschritte zu erzielen. Obwohl die gesunkenen Rohstoffpreise Peru in letzter Zeit belastet haben, wird der Kupferausstoß Erwartungen zufolge steigen, wenn in den nächsten Jahren neue Minen den Betrieb aufnehmen. Dadurch könnte Peru Chile als zweitgrößten Produzenten der Welt potenziell überholen und eine Erholung der Preise könnte wirtschaftlichen Schwung bringen. Offizielle Stellen in Peru sind auf der Suche nach Möglichkeiten, um die Wirtschaft vom Bergbau fort zu diversifizieren und haben Reformen umgesetzt, die Investitionen fördern. Sie sind mehrere Handelspartnerschaften, Geschäfte und Verhandlungen, darunter die Trans-Pazifische-Partnerschaft, eingegangen. Auch die Infrastruktur erhielt von den öffentlichen und privaten Sektoren eine erhöhte Aufmerksamkeit.
Ein potenzieller Rückschlag für den Fortschritt in Peru könnte die mögliche Herabstufung durch den Indexanbieter MSCI darstellen. MSCI hat geäußert, man denke darüber nach, Peru aufgrund der schlechten Liquidität peruanischer Aktien von Schwellenmarkt- zu Grenzmarktstatus umzuklassifizieren. Am 30. September kündigte MSCI an, man gebe dem Land noch bis Juni 2016 Zeit, um auf diese Problematik einzugehen. Es scheint nebensächlich, aber die Index-Designation ist ein wichtiger Faktor für das Anziehen und den Erhalt ausländischen Investitionsvermögens. Peru ist derzeit im MSCI Emerging Markets Index mit 0,4% gewichtet, könnte aber im MSCI Frontier Markets Index eine viel höhere Gewichtung erhalten. Peru hat Maßnahmen ergriffen, um ausländische Investitionen ins Land zu bringen. Diese machen bereits jetzt etwa ein Drittel des Aktienhandelsvolumens aus. Diese Maßnahmen umfassen u.a. einen Zehnjahresplan zur Entwicklung Perus zu einem lateinamerikanischen Finanzzentrum sowie investitionsfreundlichere Steuerreformen.
Obwohl Peru im letzten Jahrzehnt die niedrigste jährliche, durchschnittliche Inflation (2,9%) in Lateinamerika auswies[4], veranlasste ein Anstieg der Inflation in letzter Zeit die peruanische Notenbank im September trotz der Besorgnis über das sich verlangsamende Wachstum zu einer Leitzinserhöhung auf 3,5%.
Brasilien kämpft mit Widerständen
Ein Jahrestreffen zwischen Weltbank und IWF in Lateinamerika fand zum letzten Mal 1967 in Brasilien statt. Seitdem ist die brasilianische Wirtschaft gewachsen und hat sich sehr verändert. In letzter Zeit musste Brasilien mit mehreren Widerständen kämpfen, die in diesem Jahr immer stärker wurden. Der Markt leidet unter den niedrigen Rohstoffpreisen, politischer Besorgnis, schwachen Wirtschaftsdaten, Zinserhöhungen und einer Herabstufung des Kreditratings. Brasilien macht derzeit eine harte politische Phase durch. Grund sind die jüngsten Korruptionsskandale im Zusammenhang mit dem staatlichen Ölgiganten Petrobras. Es finden zahlreiche Ermittlungen gegen Politiker statt und viele Beteiligte befinden sich bereits in Haft oder wurden verurteilt. Wir werten dies als Beleg für die Unabhängigkeit des Justizsystems, das sich allem Anschein nach von der Politik nicht einschüchtern lässt.
Dieser Skandal bietet jedoch Gelegenheit zur Umsetzung tiefgreifender Regierungsreformen, darunter eine Rationalisierung durch potenzielle Reduzierung der Zahl staatlicher Einrichtungen und die Neugestaltung der Steuergesetze. Gleichzeitig kann etwas zur Behebung des Strukturdefizits im Bereich der sozialen Sicherheit getan werden. Wir könnten kurzfristig unmittelbare Verbesserungen erleben, wie, zusätzlich zu einem aggressiven Plan zum Verkauf von Petrobras-Vermögenswerten im Wert von 58 Mrd. US-Dollar, die Privatisierung vieler Infrastrukturwerte (Straßen, Flughäfen, Häfen) und flexiblere Regelungen, die es Ausländern erlauben, an Ausschreibungen für den Erwerb von Luftfahrtgesellschaften und landwirtschaftlichen Nutzflächen teilzunehmen.
Von dem Petrobras Skandal abgesehen leidet die brasilianische Wirtschaft dieses Jahr unter einer Rezession. Die Inflation stieg im Juni auf den höchsten Stand seit mehr als elf Jahren, was die Notenbank im Juli dazu zwang, ihren Leitzins um 50 Basispunkte auf 14,25% anzuheben, den höchsten Stand seit August 2006. Gleichzeitig veranlasste die fortwährende Schwäche der brasilianischen Wirtschaft und ein Rückgang der staatlichen Einnahmen während der ersten Hälfte des Jahres 2015 die Regierung dazu, die Haushaltsziele für 2015 und 2016 zu senken. Die internationale Ratingagentur Standard & Poor’s senkte den Ausblick für brasilianische Fremdwährungsschulden von stabil auf negativ und dann die Ratings für langfristige brasilianische Staatsanleihen in ausländischen Währungen und Lokalwährung auf BB+ bzw. BBB-. Sie begründete diesen Schritt mit der Wirtschaftsschwäche und hohen Verschuldung Brasiliens. Präsidentin Dilma Rousseffs Versäumnis, eindeutige Haushaltsziele festzulegen, könnten ebenfalls zu dieser Herabstufung beigetragen haben. Mit Beginn ihrer zweiten vierjährigen Amtszeit im Januar lag das Ziel für den Primärüberschuss 2016 (die staatliche Haushaltsbilanz vor Zinszahlungen) bei 2%. Dieses Ziel wurde aber nicht erreicht. Inzwischen spricht die Regierung von einem Haushaltsdefizit.
Im Bestreben, sich aus dieser Lage zu befreien, kündigte die brasilianische Regierung vor kurzem ein Sparpaket mit einem Volumen von 17 Mrd. US-Dollar an, das Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen umfasst. Finanzminister Joaquim Levy hat mit seinen eigenen Widerständen aus einer Vielzahl von Interessensgruppen zu kämpfen, die sich diesen Maßnahmen widersetzen. Sogar die Gewerkschaft der Steuerprüfer der Finanzbehörden kämpft für höhere Gehälter und rief dazu auf, an einem Tag alle Computer, die mit den Systemen der Steuerbehörden verbunden sind, abzuschalten. Levy hat es ganz eindeutig schwer, die staatlichen Ausgaben trotz der Wirtschaftskrise, in der das Land sich befindet, zu senken. Eines der umstrittensten Themen ist die geplante Steuer auf alle Finanztransaktionen, die aller Wahrscheinlichkeit nach vom brasilianischen Kongress nicht genehmigt werden wird.
Das alles bedeutet, dass ohne Senkung der staatlichen Ausgaben (der sich die Staatsdiener widersetzen) und ohne höhere Steuereinkünfte (denen sich die Bevölkerung insgesamt widersetzt) die kurzfristige Prognose für Brasilien nicht gut aussieht. Obwohl die Situation in Brasilien äußerst bedenklich erscheint, bedeutet das nicht, dass wir als Anleger uns aus Brasilien oder aus brasilianischen Aktien zurückziehen. Wir sind Bottom-up Stockpicker und sehen die Dinge langfristig. Wir sind der Überzeugung Brasilien – Südamerikas größte Volkswirtschaft – wird überleben und die dort ansässigen Unternehmen können dies ebenfalls schaffen. Wir planen daher auch weiterhin dort zu investieren und nach potenziell günstigen Gelegenheiten Ausschau zu halten.
Ich schrieb bereits in der Vergangenheit: Wenn die Anlegerstimmung sich auf extremen Tiefständen bewegt, ist das meiner Meinung nach die beste Gelegenheit, Chancen wahrzunehmen, wenn man geduldig und selektiv vorgeht. Brasilien verfügt über unglaubliche Ressourcen – nicht nur in Hinsicht auf Bodenschätze, sondern auch in Hinsicht auf Arbeitskräfte. Die Art und Weise, wie die brasilianische Regierung Reformen angeht, um diese Ressourcen am effektivsten zu nutzen, ist unserer Meinung nach der Schlüssel zum ökonomischen Schicksal des Landes. Wir könnten in den nächsten drei bis fünf Jahren enorme Veränderungen erleben – sofern der Wille dazu besteht.
Wir möchten unserer Überzeugung Nachdruck verleihen, dass eine Reduzierung staatlicher Bürokratie und Ausgaben in Brasilien äußerst wichtig ist. Wir glauben, eine Politik, die Wachstum im Privatsektor unterstützt, insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, dürfte einen starken Beitrag zum Wachstum der Wirtschaft leisten. Meiner Meinung nach muss die politische Führung es den Menschen einfacher machen, in Brasilien Geschäfte zu tätigen. Das Land muss sich auch weiterhin auf die Korruptionsbekämpfung konzentrieren. Falls die Wirtschaft sich nicht erholt, werden die Unternehmenserträge wahrscheinlich nicht sehr gut ausfallen. Wir müssen daher also vorsichtig sein. Wenn wir von Veränderung sprechen geht es nicht nur um die Präsidentin, sondern auch um den Kongress. Unserer Meinung nach muss es zu einer Änderung der Einstellung kommen. Sofern es genügend reformorientierte Leute gibt, kann es zu dieser Veränderung kommen. Brasilien ist nicht das einzige Land mit diesen Problemen. Wir denken aber, das Wachstumspotenzial ist in Brasilien so groß, dass es eine Schande ist, dass die Regierung nicht effektiver ist.
Chancen in Lateinamerika
Unserer Meinung nach ist Lateinamerika insgesamt trotz der kurzfristigen Widerstände nach wie vor ein attraktives Investitionsziel. Die Region verfügt über die größten und kostengünstigsten Vorkommen wichtiger Rohstoffe der Welt, darunter Öl, Metalle, Mineralien und landwirtschaftliche Produkte, und die langfristigen Nachfragetrends für die Grundmaterialien werden sich mit verbessertem Wachstum global und in den Schwellenmärkten ebenfalls verbessern.
Rasante technologische Fortschritte haben dazu beigetragen, lateinamerikanischen Ländern einen Wachstumsschub zu verleihen, denn die Märkte können die technologischen Fortschritte zu ihrem Vorteil nutzen und die Entwicklungsphase überspringen. Unserer Meinung nach bietet auch die Tatsache, dass das Wachstum in der Region mit den demografischen Trends verknüpft ist, Grund zum Optimismus. In Schwellenmärkten, wie jenen Lateinamerikas, dominieren im allgemeinen jüngere Altersgruppen die Bevölkerungen. Demgegenüber finden sich in vielen Industrieländern alternde Bevölkerungen.
Der Markt tendiert zu einem zukunftsgerichteten Denken, während Wirtschaftsstatistiken die Vergangenheit wiedergeben. Das führt manchmal zu Inkongruenzen. In Phasen, in denen die Märkte unpopulär sind, suchen wir nach Anlagen, von denen wir denken, sie wurden vom allgemeinen Abschwung der Anlegerstimmung ungerechtfertigt abgestraft und erscheinen gegenüber ihrem wahren Potenzial unterbewertet. In letzter Zeit entdecken wir unter einer Reihe lateinamerikanischer Aktien solche Chancen. Wir freuen uns auf den Dialog und die Ideen, die aus dem Treffen von Weltbank und IWF in der Region in diesem Jahr hervorgehen.
[1] Quelle: IWF, World Economic Outlook Database, April 2015; Weltbank. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich eine Schätzung oder Prognose bewahrheitet.
[2] Quelle: Thompson Reuters. Stand: 22. September 2015.
[3] Quelle: CIA World Factbook, 2014.
[4] Quelle: IWF, World Economic Outlook Database, April 2015, von 2004−2014.