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Vor kurzem haben mein Team und ich eine Reise durch verschiedene chinesische Städte unternommen, um uns vor Ort ein Bild über die wirtschaftlichen Bedingungen zu machen und mit Führungskräften von Unternehmen über das Geschäftsklima zu sprechen. Hier finden Sie meinen Bericht über die Städte Nanning und Guiyang im Südosten Chinas.
Nanning
Nach Nanning kamen mein Team und ich mit einem Hochgeschwindigkeitszug von Shenzhen, der unterwegs ein paarmal hielt. Die Stadt besuchten wir am „Singles Day 1111“ (1111 steht für den 11.11.). Dies ist der Tag im Jahr, an dem der höchste Umsatz mit Internetverkäufen erzielt wird. Der Singles Day ist vergleichbar mit dem „Cyber Monday“ in den USA, der auf den dortigen Thanksgiving-Feiertag im November folgt. In beiden Fällen bieten Onlinehändler hohe Rabatte und Sonderaktionen, um Kunden anzulocken. Angesichts der massiven Verkaufsbemühungen im Internet ging ich davon aus, dass die physischen Einkaufszentren in Nanning nicht viel Geschäft machen würden. So war es aber nicht. In einer Mall nahe an meinem Hotel wollte ich eine Hose kaufen und musste dort in einer langen Schlange 20 Minuten warten, in der viele Leute nebenbei auf ihren Smartphones einkauften. Wie wir erfuhren, machten Käufe über das Handy bei einem der größten Internethändler Chinas am Singles Day 2015 mehr als 60 Prozent des Umsatzes aus. Ein paar von unseren Analysten griffen unterdessen ebenfalls zu ihren Smartphones oder Computern, um selbst ein paar gute Schnäppchen zu machen.

Wir verließen die Mall lange nach Einbruch der Dunkelheit. Im Freien sahen wir Menschenmengen um Tanzgruppen herum, die ein Immobilienentwicklungsprojekt bewarben. Während die Frauen – gekleidet in Uniformen mit dem Logo des Unternehmens – tanzten, wurden den Zuschauern Prospekte überreicht. Für uns war das ein Zeichen für einen Immobilienboom in dieser Stadt sowie für die recht aggressiven Verkaufsbemühungen der dahinterstehenden Entwickler.
Gelegen in der Provinz Guangxi, ist Nanning eine beeindruckende Stadt mit 6,6 Millionen Einwohnern; viele Touristen nutzen sie allerdings nur als Zwischenstopp auf dem Weg in das landschaftlich reizvolle Guilin. Die chinesischen Schriftzeichen für Nanning bedeuten „südliche Ruhe“, und die Stadt ist bekannt als „Green City“, weil es dort sehr viele tropische Pflanzen gibt. Nach meinem Eindruck ist Nanning in weiten Teilen eher eine Asphaltwüste als eine grüne Oase. Bereits jetzt gibt es dort viele Wolkenkratzer, und ich zählte mehr als 20 Gebäude im Bau, die mindestens 30 Stockwerke hoch zu sein schienen.
Zugleich ist Nanning bekannt als Zwischenstopp für Reisende nach Vietnam. Es gibt Pläne für den Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zur nahegelegenen vietnamesischen Grenze, um eine bessere Integration des Perlflussdeltas (Hongkong, Shenzhen und andere Städte in Südostchina) mit den Staaten im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) zu erreichen.
Am Morgen nach unserer Ankunft fuhren wir zu einer Milchfabrik in einem Industriegebiet. Auf dem Weg kamen wir an vielen Büros und Wohnhochhäusern vorbei. Das Hauptgeschäft macht das von uns besuchte Unternehmen mit Büffelmilch und Jogurt in unterschiedlichen Geschmackrichtungen, manche davon, wie rote und schwarze Bohnen, recht ungewöhnlich für mich. Büffelmilch ist deutlich gehaltvoller als Kuhmilch und wird deshalb teurer verkauft. Der Vertrieb für die Milch des Unternehmens ist umfassend – die Produkte werden nicht nur über eigene Geschäfte verkauft, sondern auch über Supermärkte, das Internet und ein eigenes Team, das jeden Tag per Fahrrad hunderttausende Haushalte beliefert. Wie viele andere Unternehmen in China begann auch dieses in einer traditionellen Branche, ist seitdem jedoch auch in ganz andere Gebiete wie Medien, Internet, Tourismus und Finanzdienstleistungen expandiert.
Am nächsten Morgen verließen wir Nanning für eine fünfstündige Zugfahrt nach Guiyang. Auf dem Weg kamen wir an Farmen vorbei, auf denen Reis, Mais und andere Feldfrüchte wachsen. Aber wir konnten keine Bauern sehen, und fragten uns, wo sie wohl wären. Etwa in der Stadt?
Guiyang
Wie viele andere florierende Städte in China ist Guiyang an einem Fluss gelegen: dem Nanming, einem Nebenfluss des Wu Jiang. Guiyang ist das wichtigste Geschäftszentrum der Provinz, und eine Reihe von lokalen und internationalen Unternehmen sind dort im Einzel- und im Großhandel aktiv. Wasserkraftwerke entlang des Flusses decken volle 70 Prozent des Strombedarfs der Stadt; hinzukommen Kohlekraftwerke, die von Kohleminen in der Provinz beliefert werden.

In dem hügeligen Gebiet wurden und werden viele Wohnhochhäuser errichtet – für mich eine Bestätigung für die Abwanderung vom Land in die Städte, die überall in China zu beobachten ist. Ähnlich wie in Nanning zählte ich mindestens 20 Baustellen für etwa 30 Stockwerke hohe Appartementhäuser, während 20 weitere schon fertig waren. Die Straßen in dieser Gegend sind zwar exzellent, doch ich fragte mich, ob sie auch mit dem zusätzlichen Verkehr zurechtkommen werden, wenn all die neuen Bewohner eingezogen sind. An der Infrastruktur wird noch gebaut, beispielsweise in Form vieler Tunnel, die durch die Berge gebohrt werden. Das Straßennetz war gut ausgebaut, doch wir hatten den Eindruck, dass hinsichtlich Infrastruktur und Dienstleistungen wie Strom für alle künftigen Bewohner noch viel zu tun bleibt.

Unser Team besichtigte ein Bauprojekt, mit dem offenbar eine vollkommen neue Stadt in der Region entstehen wird. Es war ein riesiger Komplex mit 52 Gebäuden, jeweils 30 Stockwerke hoch und mit 120 Appartements. Am Boden gab es Gärten, Springbrunnen und einen Swimmingpool im französischen Stil. Wir sahen uns die Kosten der Einheiten und den möglichen Gewinn für das Unternehmen dahinter an. Wie uns die Entwickler sagten, planen sie, die Preise zu erhöhen, sobald 60 Prozent des Projekts verkauft sind. Aus kleineren Städten Chinas (der zweiten oder dritten Reihe) haben wir Berichte über fallende Immobilienpreise gehört, doch hier war davon nicht viel zu spüren – in den von uns besuchten Gegenden schienen die Verkäufe weiterhin robust. Wie man uns sagte, sind die meisten Käufer in diesem Gebiet keine Spekulanten, sondern wollen selbst in den Wohnungen leben; 20 Prozent von ihnen kommen vom Land. Zwei Straßenbahnen sollen die Anbindung an das Entwicklungsprojekt gewährleisten, eine davon direkt vom alten Stadtzentrum aus. Wie der Milchproduzent, den wir in Nanning besuchten, sind auch Immobilienentwickler in eine Reihe anderer Aktivitäten expandiert – von Gesundheit bis Technologie oder Speiseöl.
Unsere Reise führte uns auch in die Qingyan Ancient Town, eine berühmte Geschichts- und Kulturattraktion direkt südlich von Guiyang, wo wir die alte Architektur bewunderten. Der heutige Touristenmagnet wurde 1378 während der Ming-Dynastie als militärischer Außenposten erbaut und ist deshalb von einer Mauer umgeben. Gelegen in einem felsigen Gebiet, bestehen die meisten Gebäude und Mauern der Stadt aus Steinen, und die Hauptstraße war flankiert von verschiedenen Läden und Restaurants, die Tee, lokale Leckereien und eine breite Palette an traditionellen Waren verkaufen. Zu den vielen schönen Gebäuden dort zählen Tempel sowie eine christliche Kirche und ein Kloster – französische Missionare hatten im Jahr 1851 den Katholizismus in die Gegend gebracht. Außerdem besuchten wir das elegante Zuhause eines Gelehrten, der während der Qing-Dynastie die nationale Prüfung bestand und zum Regierungsbeamten berufen wurde. Er sammelte besondere Steine aus allen Bereichen Chinas, die jetzt im Hof ausgestellt werden.

Zurück im Hotel, war ich fasziniert von einer chinesischsprachigen Fernsehsendung namens „Warte auf mich“, auf die ich zufällig stieß. Darin ging es um Menschen, die Familienmitglieder oder andere Personen verloren hatten und auf eine Wiedervereinigung mit ihnen hofften. Eine junge Frau in der Show erzählte, ein junger Mann habe ihr bei einer Zugfahrt mit ihrem Gepäck geholfen und sei sehr nett gewesen. Sie sei zu schüchtern gewesen, um nach seinem Namen oder seiner Telefonnummer zu fragen oder ihm auch nur zu danken, denke aber immer noch an ihn. In der Sendung wurde der junge Mann gefunden, und er sagte, auch er denke oft an sie und habe sogar die Bahnfahrkarte von der gemeinsamen Reise aufgehoben. Das Publikum war begeistert, als die beiden sich wiedersahen und offensichtlich daran interessiert waren, sich zu liieren. Für mich zeigt die Sendung die universelle und fundamentale Menschlichkeit der Chinesen sowie ihre starken persönlichen und familiären Bindungen. Unabhängig von allen Unterschieden habe ich auf meinen Reisen eine Sache gelernt: Wenn man in einem Land Geschäfte macht, muss man nicht nur seine spezielle Kultur verstehen, man sollte auch wissen, dass Menschen in aller Welt in vielerlei Hinsicht grundlegend gleich sind.

Unsere Abreise aus Guiyang erfolgte wieder mit einem Hochgeschwindigkeitszug von einem hübschen Bahnhof ähnlich denen, die wir auch in anderen chinesischen Städten gesehen hatten. Die Sicherheitsmaßnahmen waren vergleichbar mit dem, was man in einem beliebigen Flughafen rund um die Welt erwarten würde – Überprüfungen von Pässen und Identifikationskarten und anschließend eine Röntgenuntersuchung des Gepäcks. Auch fand ich an dem Bahnhof ein kleines Stück Amerika, nicht nur in Form von Reiseutensilien mit US-Markennamen, sondern auch in einem Bild von „Uncle Sam“ in seiner berühmten Weltkriegspose und den (englischen) Worten „I Want You“. Es war eine Werbung für ein Smartphone-Bezahlsystem, die einen Rabatt oder ein Geschenk versprach. Neben den anderen geschäftlichen Aktivitäten, die ich in China florieren sah, war auch das ein Zeichen dafür, dass der Kapitalismus dort bei bester Gesundheit ist.